Petersburg, 31.01.1992: Russkij Eros & Erwartungsmanagement

Irina wiedergetroffen. Kommunikation klappte ganz gut, nur könnte sie mir eine verdammte Diva werden. Irgendwie schien sie vor allem zu absahnen vorbeigekommen zu sein. Kann mich aber auch irren.

Auf jeden Fall verfing ich mich soweit in meinen Worten der Selbstdarstellung, daß ich mich genötigt sah, ihr mein Araber-Tuch, das ursprünglich zwar auch für sie gekauft war, zu schenken. Danach schien sie etwas besänftigt; meine Body Shop Klamotten schien sie nicht besonders zu würdigen – ich hätte die Zahnpasteraktion bedenken sollen… .

Außerdem traf ich die verklemmte, bemühte Svjetlana und Elena wieder. Letztere erinnert mich in ihrer ausdrucksstarken Mimik, mit der sie kunstvoll gesetzte Pausen füllt, etwas an Alishia. Sie ist sehr aufgeweckt und im Umgang mit ihr wirkt sie auf mich anregend.

Wir gingen zunächst in eine russ.orthodoxe Kirche, in der Einzahlungs-quittungen neben käuflichen Kerzen unter einer Ikone ausgestellt waren… . Auf mich stürmte äußerst unfreundlich ein Pater los und gebot mir meine Handschuhe auszuziehen. Es viel ihm auch nicht ein mich an seiner Nächstenliebe teilhaben zu lassen, als ich mich schnurstracks entschuldigte.

Abends gingen wir dann zu mir nach Hause und unterhielten uns über Sex. Elena bedauerte die in Rußland gängige, äußerst verklemmte Erziehung offen, Svetlana steuerte zu dem Gespräch vor allem die Light-Show und gelegentliche Geräusche der Zustimmung bei.

Folgende Zustände sind hier Usus:

– Kinder werden nicht aufgeklärt

– Sexualität ist in der Familie ein Tabou, über das nicht gesprochen wird

– das Vorhandensein von Geschlechtsorganen wird insofern verleugnet, als daß sie weder sprachliche Berücksichtigung finden, noch gezeigt werden (hier sieht irgendwie kein Kind die Eltern nackt – zumindest nicht das andersgeschlechtliche Elternteil)

– die Aufklärung findet auf der Straße, oder für interessierte in der Bibliothek bei der Lektüre von Fachliteratur statt.

Aleksander geht ja auch immer noch davon aus, daß Frauen mir stante pede die Freundschaft kündigen würden, wenn ich mich vor ihren unbedarften Augen umzöge. Habe ich bisher bei meinem normal-nordeuropäischen Verhalten allerdings nicht feststellen können.

Ich habe jetzt sicherheitshalber auf jeden Fall erst einmal ein russisches Buch über Russkij Eros, ein englisches und ein deutsches Lehrbuch über Sexualwissenschaften gekauft – letzteres reich mit guten Fotografien versehen. Den Stunt muß ich mir geben – meine zustande kommende Bibliothek wird hier immer gleich nach den Photographien durchgesehen.

Mit den beiden Mädels werde ich jetzt auf Initiative von Elena jeden Sonntag zum Martine russisch/deutsches Sprach- und Literaturtraining machen. Außerdem wollen wir Pizza backen.

 

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