Petersburg, 07.06.1992: Ermitage, Gören, Streeboyskonzert

Gestern morgen mit Inna und spinnerter Sportphysiologengruppe in die Ermitage gegangen, um eine Ausstellung von Kartiè Exponen­ten zu sehen. Außerdem fand ich noch eine Abteilung, in der die Verbindung des Kaukasus zur Seiden­straße dargestellt und erläutert wird. Mehrere der vielen Ausweichrouten, die eingeschlagen wurden vor allem dann, wenn der Iran nicht passiert werden konnte, führten durch den Kaukasus. Wenn dem so war, brachte diese Tatsache die Kulturen des Kaukasus in direkten Kontakt mit den Kulturen des Mittel­meerraumes und dem Fernen Osten. Dies manifestierte sich in den Hinterlas­senschaften der Kaukasischen Kulturen vor allem in der Periode von 700 n.C. bis 1200, also in der Zeit, als die Kiever Russ entstand. Überhaupt scheint diese Zeit für den östlichen Schwarzmeerraum eine sehr mobile gewesen zu sein: Die Christianisierung durch Nino, die griechischen (byzantinischen) Kolonien am Schwarzen Meer, die sich in ihren Interessen nach Süden aus­richtende Kiever Russ und der eurasi­sche Waren- und Kulturaustausch über die Seidenstraße. Außerdem treffen sich hier mein Interesse für die Nomaden der asiatischen Steppe und Georgien.

Vorgestern kam dann noch irgendwie Lisa mit ihrer görenhaften Freundin vorbei, um …? Die Göre räkelte die ganze Zeit ihre schönen Beine vor meinen etwas irritierten Augen, während sie mir erfolglos versuchte die Frage zu beantworten, mit wie vielen Männern sie schon geschlafen hätte. Sie ist nicht dumm, aber vulgär. Lisa ist (oder: gibt sich) da geheimnisvoller, kann die Männer aber auch nicht zählen, “weil sie sonst kotzen müßte”. Mir ein kleines Experiment betreffs dieser Selbstdarstellungen erlaubend, zeigte ich ca. 5 sec. körperliches Eingenommensein und sie reagierte tatsächlich ange­widert; küßte mich aber so zum interessanten Kontraßt schüchtern flüchtig im Treppenhaus, während ich “ne icpugajcja” verlauten ließ.

 

Dann gestern noch Andrjuscha, den frisch aus dem Krankenhaus entlassenden Roma (in das er Zwecks Blutwäsche gegangen war) und Papa Roma mit ihrer Band bei einem herrlichen Sommerstraßenauf­tritt auf dem Njevski begleitet. Mehr oder weniger unfreiwillig den Larry gemacht, als ein besinnungslos betrunke­ner Penner in seinem Tanzen gesundheitsgefährdend für andere wurde und ihn keiner zu beruhigen vermochte. Ich nahm den kräftigen Arbeiter also wie ein dickes Baby auf den Arm und trug ihn von dannen. Da ich ihm aber keine reingehauen hatte, wurde ich noch nicht einmal zum Held des Tages ernannt und kriegte nur mäßigen Applaus und kaum offene Avancen.

Der Alkoholismus hier ist wirklich ein seltsames Phänomen: In allen Gesell­schaftsschichten (ausgenommen vielleicht der jüdi­schen Intelligenzija) wird getrunken, um sich zu besaufen – und nur deswegen. Hauptgrund für den sakucku ist der schlechte Ge­schmack des Wodkas. Es scheint wirklich so, daß der Alkohol hier entscheidend mit zur Lähmung der Gesellschaft beiträgt. Die Kette Soziale Not – Perspektivenlosigkeit – Verzweiflung -teurer Alkohol – Armut setzt hier vielleicht beim Alkohol an.

 

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