Tbilissi, 29. April 1993: Eichen unterhalb Genfs im Jahre 1917

Noch so eine Detailaufnahme, von Inna gespendet:

In Jemal, auf einer Nord-West-Sibirschen Halbinsel lebt ein 92 jähriger Graf, der seine Zeit damit verbringt, jeden Tag zum Fluß herunterzugehen, ein Loch ins Eis zu schlagen, die Wassertempera­tur und Fließgeschwindigkeit zu messen, um dann die Daten per Funk an die Zentrale durchzugeben. In einer mit den eigenen Kunstwerken zu­gestellten Barrake haust er, der sich nach verrichteter Zwangs­arbeit (eine Eisen­bahntrasse aus dem Nirgendwo ins Nirgendwo durch unbegehbaren Sumpf) dort vor den Stalin/Beria-Häschern verkrochen hat. Nach der Revolution in Petersburg sich eine Her­kunft aus Bauernfamilie erlogen, unter Stalin dann doch aufgeflo­gen und in die Verbannung gegangen. Der Rest seiner Familie, der nicht umgebracht wurde, lebt im Ausland.

Noch zu Sowjetzeiten konnte er von seinem Gehalt nicht leben und verdiente sich durch den Verkauf von Bildern an Kerle von den Bohrtürmen etwas Geld hinzu (Bilder mit Darstellungen von Eichen unterhalb Genfs im Jahre 1917 z.B.).

Kein Zorn und keine Verbitterung waren ihm zu eigen.

 

Weiter erzählte sie, wie sie in Petersburg Zeuge einer häßlichen Situation wurde. In einem aserbaidschanischen Pilz arbeitet ein russisches Mädchen. Niedere Ange­stellte der Südländer sind auch in Rußland fast immer Russen. Juden, Kaukasier und Mittelasier sind fester Organisiert und wohlhabender. Außerdem verbietet ihnen ihr Stolz viele Arbeiten: Selbst in den Ländern, in denen Russen als Kolonialherren galten, werden Arbeiten, die als niedrig gelten (putzen, in staatl. Gesch. ver­kaufen, bedienen) von Russen ausge­führt. In diesem Pilz nun sah Inna, wie ein kräziger Asaib. ohne einsichtigen Grund seine Zigarette im Gesicht des Mädchens aus­drückte. Das Mädchen schrie nicht einmal auf und wagte es nicht, zu reagieren. Inna erklärte, daß viele der Mädchen, die unter solchen Umständen arbeiten, als Alterna­tive nur die Brotprostitu­tion am Bahnhof hätten. Ein hoher Preis für Würde. Es seien oft Kinder aus typischen Sowjetfamilien (d.h. Familien, in denen es keinen Vater gibt), in denen die Mutter auf die eine oder andere Weise ausgefallen ist. Die Jugendlichen bleiben in einer zefalle­nen Welt alleine und werden natürlich von allerlei Gesocks aufge­griffen, gebraucht und mißbraucht wie es gefällt.

So auch eine Brotprostituierte, die Inna um ein Uhr Nachts, selbst stockbesof­fen zusammen mit unbekannten Kunststudenten durch die Gassen schlendernd, am Bahnhof aufgabelte. Sie fanden sie, irgend­eine Stalowaja-Scheiße essend, die ihr der letzte Toiletten-Fick mit einem Penner eingebracht hatte.

Der Abgrund kennt noch einen Boden, in den Metropolen der gefalle­nen Welt.

 

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