Tbilisi, 10. Dezember 1992: Zahnarzt und krimineller Nachbar

Heut geht’s ab zum Zahnarzt, den verfluchten Nerv ziehen zu lassen, Die letzten Tage – vor allem Nächte – habe ich nur noch mit Aspirin überstanden. Der weiche Ljoscha vermittelte mir seine Lieblingszahnärztin.

Gestern einen französischen Journalisten, Patrik, russischer Abstammung kennengelernt. Er arbeitet für die französische Presseagentur vor allem hier in der kaukasischen Region. Er lud uns (Ljoscha, Inesa und mich) nach vollendetem Arbeitstag in der Redaktion von SVOBODNAYA GRUZIA in das unter Sviat Gamsachurdia eröffnete Hotel Metechi ein. Ein ziemlich amüsanter Palast, von Österreichern geleitet. Ein geschmackvoller, doch fehlplazierter Vorposten westlicher Selbstdarstellung. Dort im Fernsehen von der amerikanischen Invasion Somalias gehört.

Gamsachurdia macht ansonsten jetzt den Weltenbummler, bereiste Finnland, ist jetzt in Österreich und bekam zunächst kein Visum für Deutschland (da ist B.M. glücklicher dran). Er hält vor allem Reden für die Nationalstaatlichkeit und gegen ein vereintes Europa.

In Moskau ist es heute zu Unruhen zwischen sogn. Demokraten (Befürwortern Jelzins) und “Antidemokraten” (Reaktionäre rechts wie links) gekommen. Schewardnadse gab diesbezüglich stante pede eine Pressekonferenz. Zu PEREWAROTA in Georgien selbst befragt, gab er zu Antwort: “Diese Leute sollen sich auf eine “Revolution” (=Umkehrung) in ihrem Bett beschränken.”

 

Als meine Vermieterin heute morgen erfuhr, daß der Sohn meiner Nachbarn aus dem Gefängnis zurückgekehrt sei, in das er wegen diverser Einbruchsdelikte gesteckt worden war, kam sie stehenden Fußes in meiner Abwesenheit zu mir und bewachte meine Habseligkeiten. Sie wartete, bis ich heute Nachmittag vom Zahnarzt zurückgekommen war. Bis auf den Computer habe ich Wertsachen jetzt bei ihr deponiert.

Die junge Zahnärztin machte mit Fingerfertigkeit und Herz die technische Rückständigkeit der staatlichen Poliklinik, in der ich mich wiederfand, elegant wett.

Schwierig war es zunächst nur eine Röntgenaufnahme des verfluchten Zahns – Gott habe ihn selig – zu beschaffen, weil just als ich ins Labor trat, der Strohm mal wieder abgestellt wurde. Der Strom wird hier ohne nachvollziehbare Regelmäßigkeit Stadtviertelweise abgestellt, Krankenhäuser selbstredend eingeschlossen. Operationen sind zu einem alle Beteiligten unterhaltendem Russischen Roulett Spiel geworden.

In einer PLATNOJ POLIKLINIK in einem anderen Stadtteil gab man mir letztendlich doch ein Fetzchen Film, den ich mir mit dem linken Zeigefinger an den rechten Sechser drückte, und die Aufnahme, die beweisen sollte, daß ich keine Fäulnis habe, entstand. Zurück bei Bella war der Strom wieder eingekehrt, der den treckerartigen Bohrer (Zitat Bella) zum Laufen brachte. Mit Hilfe von mehreren Litern Betäubungsmittel und Bellas goldenen Händen, bekamen die drei Nerven ihr Fett weg. Morgen wird der Zahn dann noch einmal handgewaschen, desinfiziert, dann eine Woche abheilen gelassen und letztlich verplombt und evt. mit Titankrone versehen.

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