Tbilisi, 1. Dezember 1992: BM Intrigen, Dato & Weltenrausch

Die Menschen, die Rußland für mich bedeuteten, gehen von mir oder sind schon gegangen. Gestern sprach ich mit Dato, nachdem er bei B.M. auf deren Geheiß hin war und über mein satanisches Dasein aufgeklärt wurde. Er ist so rein und kindlich einfach in seinen Beurteilungen von Menschen. Er meinte einfach, daß ich wohl aufgrund von Sprachschwierigkeiten nicht bemerkt hätte, daß die Familie da nicht ganz beieinander sei im Kopf. Er schlug B.M. vor, die Welt mit meinen Augen zu sehen und meine Andersartigkeit einfach hinzunehmen. Es geht im Übrigen ganz konkret immer noch um das gute alte Ficken. Sascha und B.M. kommen nicht darüber hinweg, daß ich mit Inna eine körperliche Beziehung im schneeweißen Angesicht der die reine Liebe verkörpernden Fee eingegangen bin. Bei B.M. kommt wohl noch ihr eigenes körperliches Verlangen mir gegenüber hinzu mitsamt den ganzen hübschen Bildern, die sie um ihr Verlangen zu stillen von mir gezeichnet hat.

Daß B.M. jetzt aber meine Freunde anfängt zu infiltrieren und mich am Telephon abkanzelt, wenn ich sie über die Geschehnisse um Sascha aufkläre, als riefe ich zum eigenen Vergnügen an, geht mir zu weit. Ich habe nichts dagegen, mal wieder hinter mir zu lassen. Es war eine Dummheit, um Inna zu kämpfen – jetzt behauptet sie, daß ich sie beklettet hätte – auch wenn es Bernd dadurch möglich wurde, sich mir wieder zu nähern. Verführung ist genauso Gewalt wie Vergewaltigung. Freiheit des Willens gibt es für die meisten nur in der Freiheit der verbalen Selbstdarstellung. Ihre Handlungen regieren andere Kräfte.

Ich sehe jetzt, daß meine wichtigeren Beziehungen zu Menschen zu einem einzigen Fehlklang werden, verliere ich meine Härte. Und das tue ich immer dann, wenn ich dem Gaukel eines Auswegs aus der Einsamkeit anheimfalle  – wenn die Väter meiner Angst mit meinem verführten Ich buhlen und die ultimative Angst erzeugen. Dann verführe ich Frauen mit der Illusion, die erste sein zu können.

Aber ich bin ein später Reiter in Steppenlandschaft mit Sonnenuntergang im Gegenlicht der schwindenden Sonne. Mir selbst eine Fatamorgana, gehetzt mit aufgerissenen Augen die Weite fangen wollend.

 

Der “Weltenrausch” müßte handeln vom Mann mit dem Abstraktionsvermögen, mit dem er die Bestie versucht in Ketten zu legen; von den Därmen, die an der Erde hängen bleiben, sobald es der Mensch versucht sich mit der Macht des Geistes von ihr hochzureißen; von der Steppe, vom Wald, von Gärten der geordneten Eitelkeit; von den erdachten Grenzen zwischen Menschen (Nationalbewußtsein, Weltbilder, Religionen), den tatsächlichen und dem, was wieder vereint, im gemeinsamen Schicksal des Menschseins; von ‘Traun, dem Schattenjäger, dem Grenzgänger; vom verlorenen Paradies der Unwissenheit und der Strafe dafür: sich die Erde im Schweiße seines Angesichtes Untertan machen zu müssen, als sterblicher Erdling; von der Einsamkeit des Weltenschaffers, von der unüberwindlichen Distanz zwischen ihm und seinen Zeugungen; vom Tod als verleugnete Gewißheit und der Liebe als Brücke zu ihm; von Eitelkeit und Hochmut und der Liebe als demütigendem Kontaktmedium zur Umwelt dieses ängstlichen Kokons; vom Falschen Jesus und dem Dummen Dänen, von atombombensicheren Riesenschildkröten und unerreichbaren Zufluchten hinter Eichenmauern und von solchen, die sein und sterben können, ganz ohne Worte.

 

–> next page