Frankfurt Flughafen, 30.10.1992: Reiseimpressionen

Reiseimpressionen:

Alexandra und ich hatten uns zusammengerauft, Inna benutzte die Kaugummibeleidigung um sich mal wieder endgültig von mir zu trennen, Herr Dr. Hemmer beschied mir bemerkenswert bekümmert und bemüht eine verschleppte (?) Blaseninfektion und vermutet irgendwelche Amöben in meinem Darm, als ich meine Reise Richtung Frankfurt heute Morgen um 9 Uhr in Berlin antrat. Sascha war noch auf den letzten Drücker zum Bahnhof gekommen, um mir in die sich leise schließende Wagontür große Versprechungen bezüglich seines Verhaltens Alexandras gegenüber’ zu rappeln. Bernd hatte mir die Nacht vorher noch Teildiagnose und Medikamente für 300 DM mitgebracht; außerdem einen Seesack voll mit in ihrer Summe unglaublich schweren Lebensmitteln – für Georgien. Ich sah ihn leider nur viel zu flüchtig. Inna erwiderte in der Vornacht, auf meine Aussage hin, hier in Deutschland dieses Mal nur ein Phantom gewesen zu sein: “Du bist überall nur ein Phantom”.

Alexandra ist freier von dem Heldenbild von mir, bedarf aber meiner ausgelebten Unausstehlichkeit, um dieses auch zu bleiben. In Berlin gab es großzügig die ganze Bandbreite von kalt über lauwarm zu heiß.

Ich kann zur Zeit nur unqualifizierte Äußerungen über mich selbst tätigen, diskutiere bei günstigerer Themenwahl aber scharf am Subjekt.

Am nämlichen Vorabend bei Marie einen Thomas (?) kennengelernt, der mich auf eine Sendung des Berliner SFB hinwies, die da heißt “Passagen”, und in der auch Idioten wie er und ich für 2000DM zu Wort kämen (persönliche Erlebnisberichte). Kann machen.

Im Zug wollte ich dann einen Abiturienten umbringen, der unwahrscheinlich laut seine Heldentaten als, Reiseterrorist in Spanien kundtat. Und das auch noch intellektuell verbrämt. Er hatte leider einen willigen Zuhörer mittleren Alters gefunden, willig, weil ihm der rüstige Jüngling seine Koffer trug. Der arme Geschäftsmann nebenan versuchte zunächst noch gegen die sich in Selbstgefälligkeit überschlagende Stimme des völlig von sich verzückten Luxus-Kindes anzudiktieren, gab das aber ~ entnervt auch bald auf. In diese’ penetranten Ignoranz grenzenloser, aber nicht einmal bösartiger, Ich-Bezogenheit, erkannte ich eine bestimmte Periode meiner persönlichen Geschichte recht deutlich wieder.

Nachdem ich mir dann bemerkbar häufig einen Bruch an dem gottverdammten Seesack gehoben hatte, kam ich in Frankfurt am Flughafen an, nur um zu erfahren, das die Maschine aus (und nach) Tbilissi, mal wieder nicht flöge. Ich sollte mich also in der Nähe bereithalten, riet man mir. Morgen früh, vielleicht.

Die Essenz des Westens, die man am Flughafen anschaulich vor sich hat, ist unglaublich richtig gekleidet. Es scheint wirklich so zu sein, daß sie in dem Bedürfnis ihre ganze Persönlichkeit nach außen zu tragen, voll und ganz erfolgreich sind. Ganz mühelos, wie mir scheint. Und häufig regelrecht uniformiert. Es gibt da verschiedene Ränge und Einheiten: Den lockeren, jung-dynamischen Jeans-Typen aus New York, den in italienischem Prominierstil gehaltenen Tom Cruise. mit seinem Autistenbruder, den so ein bißchen alternativ-intellektuellen Traveller, der sich hinter einem klein gehaltenen Sprachführer des exotischen Landes seiner Bestimmung in Szene setzt … – zum Glück auch ein paar echte Krüppel, die in ihren auf eleganten Gang zugeschneiderten Anzügen unweigerlich erfrischend unpassend aussehen. Ob Schönheit im Trend wohl zuerst zum Gesetz wird oder wird zuerst das Recht auf Schönheit in die Charta der Menschenrechte aufgenommen? Wie sind wir doch alle hoffnungslos zivilisiert, zivilisationsmüde Gedanken auf einem Laptop moderneren Typs formulierend.

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