Tbilissi, 4. November 1992: Abenteuerliche Fortsetzung in der Stadt der gesprächigen Einsamkeit

Und abenteuerlich geht es weiter:

– Jede Nacht wildes Herumgeschieße vorm Haus, u.a. mit Maschinengewehr. Ausgenommen dieser Sonntagsschützen ist die Stadt ab acht Uhr abends recht tot.

– Das öffentliche Verkehrssystem ist dem Zusammenbruch nahe, wie Bienen kleben Trauben von Menschen an jeder Haltemöglichkeit um die neben der Metro einzig noch recht regelmäßig verkehrenden Trolleybusse, öffentliche Taxis gibt es kaum noch, Privattaxis nehmen aus Angst niemanden mehr mit; außerdem gibt es nirgendwo Sprit, und wenn, dann irrational teuer.

– Außerdem wird es den Winter über wohl kaum heißes Wasser geben, da aufgrund einer Explosion im zentralen Gaswerk die Warmwasserversorgung stark eingeschränkt ist. Ich sitze hier auch jetzt schon mit kalter Nase. Weiter ist das Brot sehr knapp – dafür, und auch mit dem zugrunde liegend, aber billig. Die Leute stehen zu jeder Tages- und Nachtzeit zuhauf vor den Brotgeschäften und warten auf die Lieferungen.

Dato erzählte mir von einem neuerlich in den Nachrichten bekanntgemachten Vorfall, der auch auf ein besonderes Verhältnis der Ostgeorgier zum Krieg in Abchasien weist. Aus Abchasien vertriebene Georgier kamen nach Tbilissi und waren hier zunächst wohnungslos. Sie stießen hier auf alteingesessene Abchasier, und forderten diese ultimativ auf, die Wohnungen binnen 24 Stunden zu räumen. Als die vertreibenden Vertriebenen am nächsten Morgen zurückkamen erwartete sie nicht nur die Miliz, sondern auch alle Nachbarn, die sich über ihr Verhalten empörten.

Auch der befehlshabende General Ostgeorgiens verwies als Begründung für den anstehenden Tod von vielen Abchasiern nicht auf das kurz zuvor verübte Massaker abchasischer Soldaten an georgischen Zivilisten, sondern auf den Tod seines Bruders. Das Verhältnis zum Krieg ist für die meisten Georgier ein sehr persönliches.

Geht es allerdings um die Verteidigung des Territoriums Georgiens, sind alle, auch die Frauen, zum Kampf bereit – zumindest verbal.

Der Konflikt in Abchasien wird zusehends komplizierter. Die Offensive, die derzeit von Georgien ausgeht, stößt wahrscheinlich ins Leere. Selbst wenn die abchasischen Soldaten besiegt werden würden, könnte Georgien den Krieg nicht an seiner Grenze beenden, weil der Zusammenschluß der nordkaukasischen Völker (Moslems, Schiiten, schon aktiv mit gegen Georgien kämpft. Diese Völker leben aber größtenteils mit auf russischem und ukrainischem(?) Territorium.

Wenn die Rolle der Roten Armee nicht schon ganz auf Söldnerniveau gesunken ist (wie wohl im nagornij karabach} ist es anzunehmen, daß sie als Gewaltmittel für die Interessen Rußlands noch am ehesten arbeitet. Rußland hat aber im Zusammenhang mit dem Zerfall des von ihm dominierten Imperiums seinen Zugang zum Schwarzen Meer verloren. Den hätte es mit Abchasien zurückgewonnen. Zurückstecken wird in seinen Interessen wohl keiner und bei einem offenen Krieg scheuen alle Beteiligten (mit Ausnahme der benutzten muslimischen Völkchen) die Eskalation in die internationale Sphäre. Somit wird es bis auf weiteres wohl weiterköcheln.

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