Ich kam heute Abend von Lütkepohls zurück um einen Anruf Nickies entgegenzunehmen, etwas Chivas Reagal zu trinken und Abry-Mucke zu hören.
Noch nie war ich so gelöst bei einem Treffen mit Manfred. Dies paßt zwar an sich so gar nicht in meinen derzeitigen Gemütszustand, war aber eine willkommene Abwechslung. Hilfreich war eine Wanderung durch leichten Regen über den Pastor Bode Weg, der viel Beklemmung von mir wusch. Ich kam schon recht erleichtert an und ließ mich ungehindert auf die freundliche Athmosphäre ein.
Die letzten Tage:
In Köln gewesen. Am Ankunftsabend mit Bernd ein bißchen griechisch eingeworfen, mich aber leider nicht verbunden genug gefühlt, um wirklich etwas zu sagen. Durch die sich dadurch ergebenden Brüche zwischen zu Sagendem und Gesagten öfters rot angelaufen. Bernd hatte für meine Situation Verständnis, glaube ich.
Hernach noch zum Kai gegangen. Er war mir sehr fremd und unnahbar. Mein Mißtrauen brach wieder auf – ich habe Schwierigkeiten ihm sein Wohlwollen abzunehmen. Immer drängt sich die zersetzende Idee auf, er verachte das an dem er interessierten Anteil nimmt. Wahrscheinlich spiegele aber nur ich mich in diesem Bild von ihm… .
Spät nachts dann noch bei Russin (die nicht aufmachte) und der kranken Christina vorbeigefahren. Die Russin wollte ich fragen, warum sie eigentlich mit Männern schläft. Dazu sollte ich dann am darauffolgenden Abend beim Don Quixote Gelegenheit haben.
Christina nahm mich wie immer großzügig auf und wir unterhielten uns nicht uninteressant über ihre letzten Monate, bevor wir vorsichtig und langsam miteinander schliefen.
Manche Menschen lassen mich als Boten des Chaos immer noch gerne in ihrem Leben auftauchen – ich hoffe hoffnungslos.
Am nächsten Morgen Bernd das Auto vorbeigebracht und mich mit Agata beim schwulen Peter, der mir einen Whisky Sour ausgab, im Gonski getroffen. Sie brachte mich tatsächlich dazu, ihr recht viel von Rußland zu erzählen, auch von B.M.. Agata zeigte sich sehr beeindruckt von der Tragik dieser Frau, empfand ihre Bloßstellung aber als Schwäche, nicht als Stärke. Für sie ist eine Liebesbekundung unter Aussprache von Bedürfnissen immer ein Verlust an Eigenständigkeit und Selbstwert. Mich fand sie grausam und schlecht (allerdings nicht ohne einen leichten Anflug von Faszination), vor allem, weil ich das leidvolle Verhältniß zu B.M. nicht von mir aus abbreche, sondern weiterhin so tue, als besäße dieser Mensch noch alle Eigenverantwortung für sein Wohl-Sein, und hätte eben dies mir nicht schon geopfert. Ich selbst halte B.M. da für weitaus kraftvoller und empfände es in der Tat als Anmaßung um ihres Glücks willen gegen meine Bedürfnisse für sie die Beziehung zu beenden. Sollte dieser Wunsch von ihr geäußert werden, genügte ich ihm natürlich umgehend.
Ansonsten sagte Agata, daß sie sich ändern wolle, auch um Männer nicht mehr so unsinnig leiden zu lassen. Ich denke, wenn Männer leiden wollen, gibt es keine Macht der Welt, die sie da vor sich selbst bewart.
Abends dann Don Quixote, mit Russin, Bernd und Katharina (Ethnologin II). Eigentlich hatte keiner so richtig etwas zu sagen, allen voran die Russin nicht. Die Ethnologin sprach witzig von dem, woran sie glaubt, nämlich harte Eisen und ein paar Gefühle. Sie deucht mir eine Abenteuerin im alten Stil der Eroberer. Etwas wenig Ethnonostalgie. Während Bernd die angetrunkenen Mädchen, nach einem Zwischenstopp im Königswasser und bei ihm zu Hause heimfuhr, brach ich meine ersten sechs Stunden Schlaf an.
Die nächste Nacht hielten Bernd und ich dann sowas gegen eins Einzug nach Hamburg.
Bernd begab sich schnurstracks zum Kopulieren zu Dorle und ich fand einen ob Totenstarre sanften Abry, entschied mich demzufolge noch etwas Einsamkeit in der Menge der Nachtschwärmer zu suchen, ging also ins 439.
Dort trafen ihn gleich beim Eintreten interessierte Blicke. Er registrierte sie mit leichtem Unwillen, denn dies sollte nicht seine Nacht sein. Er stellte sich demgemäß an ein spitzes Ende der ovalen Theke und machte den Eisblock. Schon beim ersten Glas Whisky fixierte ihn sein betrunkener Nachbar mit freundlichem Lächeln. “Keine liebenswerten betrunkenen Schwuchteln heute Abend” driftete es ihm durch den Kopf. Es war also an der Zeit deutlichen Blickkontakt mit anwesenden Frauen aufzunehmen; allerdings so, daß sich daraus kein Gespräch ableitete – also pseudo-tough mit nicht standhaltenden Augen. Es nahm ihn allerdings Wunder, daß gerade die drei Frauen, mit denen er diesen Stunt exerziert hatte, nach und nach bei seinem Sitznachbarn vorbeikamen, um ihn zart zu liebkosen.
Er dachte nicht weiter darüber nach und kehrte zurück in seine große Welt der letzten Monate. Bis der Micky Rouge an seiner Seite ihn unvermittelt ansprach: “Hast Du ein Schwert?”
Wir unterhielten uns dann über das Böse, über meine Ritterlichkeit, über der Frauen eigener Art auch Deppen wie ihn zu lieben. Letzteres wiederum ließ eine grell gefärbte Szene-Dame im Designer-Look sich einschalten. Diese verhieß platte Oberflächlichkeit und darunter dann tiefe Traurigkeit und Leere. Somit ging ich mit in ihre großartige Eigentumsaltbauwohnung auf einen Kaffee, ein paar Gespräche um den Tod und letztlich einen festen Griff in ihre blutende Scham. Ob ihrer bodenlosen Leere, der sie sich aufs schmerzlichste bewußt war, wollte ich ihr nicht weh tun aber da ich als offensichtliches Kontradict zu ihrem Leben (erstblickelich) auf jeden Fall Schmerz bedeutete, wollte ich wenigstens ein “healing pain” sein. Also handlungsanweisende Hoffnung darauf, daß man sterben kann mit den Worten auf den Lippen “Tell them, I had a wonderfull life” (Wittgenstein).
All diese Überlegungen übersteigend, ließ ich mich wohl aber vor allem mal wieder treiben auf dem See eines anderen Menschen Leids.
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