– Junger Mann beim Monsterrosenkauf (Stück 100R): In’ s Gesicht geschnitten steht ihm “Wenn das jetzt mit ihr nicht klappt, dann lass ich’s , dreht sich um, sieht sie und schenkt Rosen mit gönnerhaftem Lächeln.
Schabernack:
– Mann füttert Enten von einer Brücke herab. “Hoops, ja, und dir auch, Hoops … “. Recke kommt vorbei und schmeißt den Mann, hoops ! , ins Wasser, wo ihn auf der Stelle hungrige Haie vertilgen. – –
Mit Marie und Sascha in der Moskauer Zentralbulotschnaja:
VORHER / NACHHER
Ein Mann frißt, uns dabei unentwegt anstarrend, Fisch. Er hängt an einem Stehtisch und frißt mit dem großzügig offenem Mund eines mutigen Opernsängers beim vorsingen. Nach kurzem Sehlangestehen kommen wir zurück und finden den Alten jetzt unterm Tisch liegend, auf den kantigen Metallfüßen, vom leckeren Fischschmaus, schauen nur noch ein paar Gräten aus seinem halboffenem Mund heraus. An dem Tisch und auf dem Mann steht jetzt ein Punk, in gleicher Manier gleichen Fisch fressend. Marie schlägt die Serie “Vorher / Nachher” vor.
Ich habe den Hund, den ich im August voller Geschwüre und von Räude gezeichnet photographiert hatte, wiedergesehen. Hat den Winter gut überstanden, keine Beulen und Geschwüre mehr.
Und er taumelt durch die Halle mit den Bildern an der Wand hat im Kopfe nur das eine: Ein Stück Ewigkeit an der Hand. (Videokamera in Ermitage)
Nicht ganz unwichtiger Bestandteil der Tragödie hier ist es, daß die Menschen mit den gleichen hübschen Bildern aufgebracht wurden, wie bei uns. Ansprüche und Wünsche, Vorstellungen von “Gutem Leben” sind sich sehr ähnlich – wir haben den gleichen kulturellen Hintergrund. Aber die
Möglichkeiten, diesen Ansprüchen – die ja weitestgehend materielle sind – gerecht zu werden, sind hier ungleich dünner.
Alles natürlich nur Eitelkeit… aber in einer Welt, die mit Manifestationen von ehrgeiziger Eitelkeit dichtgesaut ist, ein sehr verständlicher und ebenso ernster Schmerz.
Außerdem natürlich das schwerste und gewöhnlichste Leid des Spießers, nämlich unberechenbare und rasche Veränderungen des Alltags.
Nochmal zurück nach Moskau:
Zwei weitere Konfrontationen mit dem Tod bescherte mir Tanja.
a) Sie erwähnte plötzlich, während wir auf dem eiskaltem Sockel einer gestürzten Leninstatur saßen, wie immer auf in der Kunsthalle verbliebene Freunde wartend, daß sie zu mir eine starke Verbindung spüre, vor allem deswegen, weil ich einem ihrer einst besten Freunde sehr ähnele. Diesen Freund hatte sie in ihren Armen in den sehr schmerzhaften Krebstod begleitet.
b) Sie erzählte mir, wie sie als Kind einst gestorben sei (ihren Erzählungen nach muß es sich um eine Art des “Plötzlichen Atemstillstands” gehandelt haben, der bei uns in letzter Zeit gehäuft bei Säuglingen beobachtet wird, ” … so, als wollten sie einfach nicht mehr.”
Sie sagte, sie wäre nur zurückgekommen, weil sie ihre Mutter weinen gesehen hätte. Wir kamen darauf, als sie erklärte, daß die unveränderliche Welt hinter der Welt der Erscheinungen (das jetzt übersetzend, fällt mir die Ähnlichkeit zu Plato auf) mehr ängstige, als die sichtbare.
Überhaupt werde ich hier erstaunlich oft mit Geschichten von in Gewaltakten gestorbenen Menschen konfrontiert:
– Gestern bei der Kusine von Inna. Ihr Vater wurde letal zusammengeschlagen, als er einem anderen Opfer der Hooligans helfen wollte. Letzteres starb im Krankenhaus, weil es ein Sonntag und somit kein Arzt zugegen war.
– Der Mann einer Freundin B.M.’s, der während eines Seitensprunges von dem Mann seiner Liebhaberin erschossen wurde.
– Der Liebhaber von Boris (Arzt, den ich bei Serjoscha kennenlernte), der beim Fremdgehen vom Sexualpartner erstochen wurde.
– Ein weiterer Bekannter von B.M., der auf der Straße einfach so erschossen wurde.
– Der Bruder Iveri’s Soul-Sisters, der bei Kämpfen in Tiflis erschossen wurde.
– Und natürlich ein paar Autounfälle und Selbstmorde.
SASCHA
Eitelkeit – Gleichgültigkeit – Gelassenheit
Wenn Eitelkeit se selbstgenügsam wird, ist sie von Gleichgültigkeit, ja, sogar von Gelassenheit kaum noch zu Unterscheiden – Narziss will sich selbst betrachten und nicht mehr betrachtet werden. Er hat von allem gelassen, nur nicht von sich selbst. Kann man aber, wie Meister Eckard behautet, von sich selbst lassen, wenn man doch selbst stirbt? Selbst grammatikalisch ist dies ein Paradoxon.
Leute, die an mir Interesse haben, interessieren mich. Nun ist es ein glücklicher Umstand, daß mich nur besondere, ausgezeichnete Menschen ertragen. Daher sehe ich mich nur sehr selten genötigt, auszuwählen, wem ich meine Zeit schenke. Es ergibt sich meist fließend.
Theoretisch gibt es viele Wege gleicher Gültigkeit. Betrachtet man, gilt das auch für die Praxis. Handelt man aber, gibt es trotz alledem nur einen.
Ob ich den nun vorher theoretisch ausgewählt habe, ob ich ihn mir auftragen lasse und folge, ob ich meinem Herzen folge, falls es zu mir spricht, oder ob ich einfach dort gehe, wo es mir möglich ist, ist doch ganz gleich, für denjenigen, der die Schrift an der Wand nicht sieht.
Gibt es Freiheit überhaupt, sei es nun als Willens-, Geistes- oder Seelenfreiheit, wählt man immer im Handeln aus.
Sascha warf mir vor, not to chose, und so meine Zeit zu verschwenden. Er meinte dies vor allem in Bezug auf Inna. Da er von Fee weiß, bedeutet ihm mein Schlafen mit ihr Kummer und sogar Depression. Er implizierte, ich müsse zwischen ihm, Frauen (ausgenommen Fee) und Drogen wählen (ich habe in den letzten Wochen ziemlich viel gesoffen).
Die Sache mit dem Auswählen ist nicht uninteressant. In den meisten kleinen Alltäglichkeiten, wie z.B. mit wem ich eine Nacht verbringe, wer zu mir zu Besuch kommt, mit wem ich einen kleinen Trip mache, ob ich nach Amerika oder nach Spanien fahre, was es zu essen gibt, mit wem ich mich unterhalte, ob ich Geschichte oder Ethnographie studiere usw., aus denen unser Leben auf den ersten Blick allerdings besteht, entscheide ich tatsächlich entweder ungern oder aber nach dem Möglichkeitsprinzip, nehme also sorglos das, was mir zufällt. Größere Entscheidungen – z.B. bei wem ich in Berlin wohne, wo ich überhaupt lebe, ob es einen Menschen in meinem Leben geben soll, ob ein Gott in meinem Leben wichtiger sein soll, als ich mir selbst – ergibt sich entweder auch von selbst, oder aber ergibt sich nicht, läßt sich dann auch für mich nicht entscheiden und ängstigt mich aufs äußerste, wenn ich es als notwendige Schleuse wahrnehme.
Ansonsten macht Sascha jetzt ernst in Sachen Religiosität: Die letzten Tage vor Ostern will er mich nicht mehr sehen, will nur bei sich sein und lesen.
Er gab aber vordem zu, daß ich für ihn seine stärkste Versuchung sei. Er schützt sich davor, indem er “Perlen vor die Säue wirft”, mir also ständig seinen Glauben rechtfertigt (er selbst und ich sind natürlich Säue, denn ohne Segen zu predigen ist in der Orthodoxie auch Sünde). Außerdem provoziert er mich durch sein Predigen natürlich ständig zu blasphemischen Äußerungen – und macht sich deshalb Sorgen um die Dämonen (auf den vierzig (?) Sprossen zum Paradies; er weiß ja nicht, ob meine Seele nicht wertvoller sei, als die seinige.
Die Geschichten, die er von Pfarrern erzählt, beindrucken ihn sehr (wie z.B. ein Pfarrer einer heuchlerisch bekenntniswütigen Frau, auf ihre Behauptung hin, nach der sie so schlecht sei, daß man sie nur noch anspucken dürfe, tatsächlich symbolisch (mit Luft) vor die Füße spuckte und sie wegschickte), langweilen mich aber eher. Ganz schlimm wird es, wenn er von Frauen und Sexualität spricht (mit der Beherztheit der Kenntnisfreien). Erinnert etwas an Jan Martin. Von Dostojewski hat er tatsächlich interessanter gesprochen.
Ganz hübsch ist, daß nach Saschas Darstellung, Jesus den Sündenfall der Männer, Maria aber den Sündenfall der Frauen annulliert hätte, das Paradies also wieder geöffnet hat. Indem sie nämlich ohne Erbsünde geboren hat. Daher ist Maria der reinste und höchste Mensch, den es je gegeben hat. Eben weil sie nicht Frau war.
Mag man Frauen, kann man sich als religiöser Mensch wirklich nur noch für Buddhismus, samogon oder alte Naturreligionen entscheiden. Christentum, Moslems und Hindus scheiden als Waffe gegen Weiblichkeit als Möglichkeit aus.
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