Gestern Abend mit Sascha in Philharmonie gewesen. B.M., die die Karten organisiert und mir zum Geburtstag geschenkt hatte, war selbst nicht da. Das Konzert, “Israel!, oh Israel”, eigentlich ein Ballett, war seicht und angenehm. A. ging allerdings schon in der Pause. Das ließ mir Zeit, mich ein bißchen in die Grazie eines zwei Reihen vor mir platzierten Rückens zu verlieben. Dieser war mit prächtigen kastanienbraunen Haaren überhäuft, die ein junges Gesicht rahmten, das aus der Dreiviertelproviel Rückansicht ausgezeichnete Züge, ausdrucksstarkes Kinn, volle rote Lippen und große, dunkle Augen preisgab. Da ich offensichtlich ihr Interesse erregt hatte, bot sie mir des Öfteren ihr Profil – frühreife Jugend von ganz außergewönlicher Ausformung. Diese wurde aber von einer Mutter in wahrer Heimleiter-Fuhrien Manier im Dickens-Stil bewacht. Alle Bewegungen von der jungen Frucht wurden von diesem Wesen aus einer anderen Zeit geringschätzig und eifersüchtig beobachtet. Die Mutter, eine Frau in verfallenden Fünfzigern, mit Nickelbrille und tiefen Falten besonders um die zu oft weit nach unten gezogenen Mundwinkel.
Da alles so gut zusammenging, das Bild eines anderen Jhd’s sich so einheitlich formte, geriet ich in Versuchung, dieses Spiel mitzuspielen. Ich inszenierte also lüftbares Geheimnis in der Manier des Casanovas: Da ihre Aufmerksamkeit schon einmal gefesselt war, folgten also leicht verheißungsvolle Blicke, immer allerdings mit höflich distanzierter Kühle. Nach der Vorstellung ging ich etwas früher, um Jacke mit Stift und Zettel zu organisieren, entschied mich dann aber dummerweise, das Zettelschreiben auf den Weg zur Metro zu verschieben, wohin so ziemlich alles streben würde, weil ich am Ausgang lieber den geheimnisvollen Märchenprinzen machen wollte. Ich positionierte mich also für die Hinauskommenden nicht gut einsehbar an einer Säule und spielte versunken mit meiner klingenden Silberkugel. Sie sah mich auch tatsächlich und wir ließen bis sie durch die Ausgangstür gegangen war, nicht von unseren Augen.
Ich ging hinterher und folgte in einigem Abstand, was sie schnell bemerkte und zum ersten Mal lächelten wir uns verzaubert an. Ich überholte betont langsam und nah um für sie einsehbar den Zettel zu schreiben. (“Wy metschta krasota. Ja metschtatel. tel., Jan” )
Am Eingang zur Metro wartete ich dann vergebens auf sie um ihr den Zettel ungesehen von ihrem Dragona bei einer Ungeschicklichkeit zuzustecken.
Bedauerlich: Der weitere Verlauf hätte mich sehr interessiert.
Nachts kam A. dann noch und wir unterhielten uns vor allem über old B.M.. Er, als derjenige, der wohl am stärksten von dem Bannschild der unglaublichen Energie seiner Mutter betroffen ist und dessen verkrüppelte Entwicklung zu Frauen sicherlich auch ohne intellektuellen Rückgriff auf Freud mit dieser ihn eigenen Angaben zufolge eifersüchtig liebenden Person (eifersüchtig vor allem, was die Einflußnahme anderer Menschen angeht) ursächlich zusammenhängt, hat sich folgendes Schema zurechtgelegt:
Seine Mutter will Energie sparen, für die Beziehungen zu den Menschen, die sie liebt und die ihre Liebe erwidern. Diese Menschen sollen sie aber frei von allen Äußerlichkeiten, also frei von Eitelkeit, lieben. Um das sicherzustellen, schockt sie Menschen mit einer Absage an alle möglichen äußerlichen Selbstverständlichkeiten, wie z.B. Respekt der körperlichen Intimsphäre, Manieren, höfliche Umgangsformen. Wer damit nicht klarkommt mag gehen, denn er meint nicht sie, sondern sich in seinem Umgang zu ihr.
Schön und gut, das mag einen Teil erklären: Ihr verschmitztes Lächeln, nachdem sie den Arzt schockgeküßt hatte, die Attacken auf Lili van Denberg mögen da hineinpassen, auch ihre Nachlässigkeit was sprachliche Richtigkeit angeht, ihre Manieren. Nicht aber Kind in Elektritschka, Ihre Bekenntnisse mir gegenüber, die offensichtlich egozentrische Sehnsucht nach Körperkontakt ausdrückten. Sie schafft sich bei weitem nicht so frei, wie Sascha das sieht. Da sie sich aber weigert, mit ihm über ihren Umgang mit Menschen zu sprechen, kann er es vielleicht auch nicht besser wissen. Mir hat sie ja viel erzählt, von dem Sascha keine Ahnung hat.
Jetzt scheint es allerdings so zu sein, daß sie Saschas Umgang mit mir fürchtet, nachdem ich ihr erzählt habe, wie schwierig die Zeit mit Sascha für mich mitunter ist – wie er mich manchmal in die Dunkle Höhle seines Protektionismus zieht, und wie wenig mir das gefällt. Auch hat sie den Kontakt zu mir stark reduziert.
Ich hatte in der Vergangenheit öfters den Eindruck, daß sie versuchte mich vor allem im Hinblick auf eine künftige heilende Beziehung zu Sascha heranzuziehen. Er ist ihr Gott und sie ist ein sehr eifersüchtiger Glaubender.
Ich denke, daß Sascha eine langwierige und schmerzliche Emanzipation von seiner Mutter bevorsteht. Marina hat das gleich von der Kindheit an gemacht und wurde damit mit (von B.M. eingestandener) Vernachlässigung und Nichtbeachtung bestraft/gesegnet.
Lustig war’s, wie ich im Verlaufe des Gespräches meinte, I do want to have a relationship to your mother woraufhin er mit aufgerissenen Augen des Entsetzens erwiderte Well, you can try. Die Leute hier haben echt einen Riesenschaden, was körperliche Verhältnisse angeht.
Zwei Geschichten aus dem Nähkästchen:
Inga erzählte mir, wie sie einst bei der Selbstverstümmelung eines italienischen Carabinieri Zuschauer war: Spät nachts vor einer Touristendisco trieben sich einige Beamte in Zivil um. Sie waren unschwer zu erkennen, weil einer der drei, als er den blonden Teutoninnen in seiner Nähe gewahr wurde, den Macho raushängen ließ. Er zog seine Wumme und begann in John Wayne Manier damit herumzuspielen. Nachdem er ein paar bedrohliche Schritte auf die Mädchen zu getan hatte, steckte er mit Siegermiene seinen Bleichmacher hinten in seinen Gürtel. In der kurzen Entfernung von wenigen Metern, muß der losbrechende Knall wohl recht schockierend geklungen haben. Der Bulle sah auch ganz betreten aus und taumelte rückwärts in die Arme seiner Kumpanen. Diese hielten es für richtig, ihn erst einmal zu strippen, wodurch sein wirklich aufs unschönste zerfetzter Knackarsch sichtbar wurde. Inga sagte, sie hätte eine Blutlache solchen Ausmaßes noch nie bestaunt.
In einem Mittelklasserestaurant im Pariser St. Germain hatten Bernd, Andrea und ich uns gesammelt, um unsere letzten 200DM auf den Kopp zu hauen. Wir waren also gerade mal in der Lage, uns ein Restaurant mit langbedeckten Tischen auch auf dem abendlichen Boulevard auszusuchen.
Der Abend gestaltete sich nett, nur unterhielten sich Bernd und Andrea über Gesellschaftsspiele. Ich fühlte mich demgemäß berufen, meinen Teil zur Diskussion beizusteuern und artikulierte dieses Bedürfnis, just zu einer Zeit, als ihr Gespräch zu dem amerikanischen Gesellschaftsspiel Who’s got the biggest gedriftet war. Ich bat also Andrea, mir unter dem Tisch ihre Hand zu geben. Diese legte ich dann um meinen entblößten Zauberstab, den ich vorausschauend kurz erigiert hatte.
Die Narbe, die sie beim Zurückreißen ihres Arms mit den langen, roten Fingernägeln auf meinem Handrücken vorbereitete, habe ich heute noch.
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