Petersburg, 23.01.1992: Kontaktaufnahme Wissenschaft / Ethnologie

– Abend mit Vermittlern von Sprachkurs und Ethnologie-Lehrern verbracht. Sie boten mir eine private Vorlesungsrunde in Ethnologie an (…). Sie selbst scheinen aber keine materiellen Abitionen betreffs meines Aufenthaltes zu haben.

Ljuba äußert sich erstaunt darüber, wie ich es in dieser Defizit-Hölle aushalte – ihre Wohnung ist gefüllt von West-Schrott, wie Video, Boom-Box, Kaffee-Machinen… . Sie wies mich darauf hin, daß jährlich nur ca. 16 Studenten in Germanistik aufgenommen werden!! Kein Wunder, daß Ausländer so viel Geld lassen müssen.

Außerdem nötigten sie mich, zunächst köllsche Weihnacht auf privat-Video-Kassette zu sehen (da sie keine Anstalten machten dieses unerträglichen Spießerfreuden auszumachen, selbst als wir anfingen uns beim Essen zu unterhalten, übernahm ich das für sie) und danach irgendeine französische teeny-wichs-Geschichte… .

– B.M. schenkte mir durch Sascha, der sich erstmal für eine Woche ausquartiert hat, eine Karte für die Philharmonie (…), süße Leckereien von A.. Ich werde sie Morgen dort treffen.

– Heute Vormittag traf ich Nurilia Schachanova, eine Ethnologin, die am Leningrader Institut für Ethnographie arbeitet. So war von ganz außergewöhnlich offener Freundlichkeit. Keine Fallen der Hintergründigkeit vermute ich hier. Sie zeigte mir Museum (Partnermuseum des Überseemuseums in HH, soweit ich verstand), Institut und Bibliothek. All das macht einen recht profunden Eindruck auf mich Dilettanten. Außerdem stellte sie mich diversen Mitarbeitern ausführlich vor und eröffnete mir Zugang zur Institutsbibliothek. Weiter bot sie mir an, sich um eine Teilnahme an einer Forschungsexpedition nach Kasachstan (ihren Forschungsgegenstand) unter der Leitung Dr. Rüdiger Vossens (Leiter des Hamburger Museums) zu bemühen. Diese findet im Sommer statt. All dies und noch ein Buch über öko-kulturelle Entwicklungen in Zentralasien, präsentierte sie mir, obwohl ich immer wieder bemüht war, ihr deutlich zu machen, daß ich nichts weiter als eine interessierte nut sei. Sie fand – wie Dr. Baar – daß Interesse alleine schon die Unterstützung würdige.

Trotzdessen die oben genannten Personen alle einer der mir zu eigenen Fremdsprachen mächtig sind, kommunizieren wir so weit als möglich immer in Russisch.

Apropos: Mein dritter Sprachkurs war weitaus erfolgreicher als der zweite. Ich bin guter Hoffnung… .

 

Da es mittlerweile 1.30 ist, gestattete ich es mir, Mamas Päckchen zu öffnen; den Inhalt fand ich so rührend, daß mir etwas Feuchtigkeit aus Augen und Nase rann. Ja, ja, die wilden Vögel… – wenn ihr nur wüßted, wie wenig wild meine Rastlosigkeit ist. Ich bin ja so furchtsam; und es ist doch schlecht weglaufen, wenn man die Ursache seiner Furcht im Spiegel weiß.

 

–> next page