Petersburg, 13.02.1992: Das fünfte Siegel

Feja rief heute Morgen um 5.00 an. Ich kann mich nur noch daran erinnern, daß es ihr nicht besonders gut geht und dass ich ziemlich viel von den Verwirrungen des Zöglings Jan Koehler auf der Suche nach dem Weg mit Herz gefaselt habe.

Meine Eßgewohnheiten hier sind ein bißchen lebenswidrig. Vor allem Brot, Butter und Zucker… . Manchmal lege ich eine Reiswoche (mit Zucker, Salz und Rosienen) dazwischen. Im winzigen Rasierspiegel im Bad sehe ich noch nicht allzu gedunsen aus. Da ich aber Wabbeligkeit im Anflug gespürt habe, mache ich jetzt öfter ein paar exercises.

Den gestrigen Tag verbrachte ich mit Andruscha, seiner Freundin und abends dann noch B.M. und Sascha. Wir haben unaufhörlich Joints mit mildem Effekt geraucht, Makkaroni mit Bergen von Knoblauch und Zwiebeln gegessen, was B.M. im Kino dann veranlaßte, sich ein paar Plätze von mir zu entfernen (?), den ungarischen Film pyataya netschatch. Eben der ist eine eindrucksvolle, tiefgründige Auseinandersetzung mit der Grundfrage: “Täter mit blutigen Händen oder Opfer mit herausgerissener”. Diese Frage stellt der Regisseur fünf Charakteren zur Zeit des ungarischen Faschismus. Einmal direkt, in Form eines Märchens, das der überhebliche Intellektuell der Gruppe vorträgt, und dann von Schicksal selbst – in den Folterkellern der Faschisten.

Darin geht Fabri (d. Regies.) weiter als Orwell, daß er das nach Dostojewski schwerste Leid der Entscheidungsfreiheit den Qualen der Hoffnungslosigkeit hinzufügt (nicht ersetzt!). Entweder den blutüberströmten Jesus, der in der Folterzentrale von der Decke baumelt, an den Händen aufgeknüpft und nur noch schwach bei Bewußtsein, schlagen, oder aber selbst hängen. Ausweglos ist es, weil ein Mensch auf jeden Fall vergeht.

Eben war mein Geldwechsler da und tauschte 50DM ein. Das erste mal seit einer Woche, das ich wieder Geld habe!

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