Petersburg, 02.05.1992: Imperium der Sinne

Gestern den Film “Imperium der Sinne” gesehen, ein Film von eben dem Regisseur, der auch “Marry Christmas, Mr. Lorenz” gedreht hat. Er erzählt die leidenschaftlich körperliche Liebesgeschich­te eines Hausherren mit einer Hausangestellten, die sich im Japan des Jahres 1930 zutrug. Diese Liason kleidet er in Bilder von höchster Ästhetik, ohne dabei die detaillierten Darstellun­gen von sexuellen Handlungen zu formalisieren – alles, was passier erscheint ungezwungen und natürlich. Auch die letzte Szene, in der die scheinbar nur betrachtende Kamera zeigt, wie die Frau ihrem, vorher von ihr mit seinem stummen Einverständnis erwürgten Liebhaber, den noch halb erigierten Schwanz und Hoden abschnei­det, kommt ohne künstliche Effekte aus. Und auch die Freundlichkeit, mit der die sehr unterschiedliche, aber in beiden Fällen kompromißlose Lust der Liebhaber gezeigt wird, legen eine moralische Stellungsnahme zunächst nicht nahe.

Dann die beiden Charaktere:

Er, ein potenter Casanova, der seinen Zauberstab aussließlich der Befriedigung von Frauen verschrieben hat. Freundlich, den Macho nur zur Freude der Frauen inszenierend, letztenendes williges Spielzeug der akti­ven, handelnden und handlungsanwei­senden Lust der Frauen. Erfährt seine Befriedigung in der Lust von Frauen. Gibt sich der Lust seiner Liebhaberin bis zu physi­schen Selbstaufgabe hin.

Sie, ein Mensch, der sich ganz von der Stimulation ihrer Lust leiten läßt, unersättlich, nicht böswillig, eiversüchtig besit­zergreifend in Bezug auf den Schwanz, fasziniert von der Macht über den Körper des Mannes (von veränderlichem Schwanz über Exclusivität bis zum Erwürgen), ist dem Körper des Mannes ver­fallen, kompremiert in ihrem Fetisch Schwanz und bemächtigt sich seiner soweit sie es kann, muß ihn dadurch letztendlich ver­lieren, denn alles lebendige stirbt, bemächtigt man sich seiner ganz.

Beide sind vereint in ihrer Lust und seiner Befriedigung, so­weit, daß diese zum Schluß sogar seine anfängliche Todesangst, ja, selbst seinen Überlebenswillen überwältigt.

Und hier kommt es zu den ersten Zweifeln an der Neutralität des ursprünglichen Betrachters: So sehr die beiden Protagonisten auch als Persönlichkeiten erscheinen mögen, gibt man sich ganz in den Film hinein, so sind es doch, betrachtet man nüchtern, trotzdem klassische christ­liche Rollenvorstellungen von Mann und Frau, und zwar genau von dem abgrundtief bösesten Teil dieser Beziehung. Der Mann ver­liert in der körperlichen Leidenschaf­lichkeit der Frau sein spirituelles Mensch-sein, all das, was ihn zur Krone der Schöp­fung macht. Und die Frau ist ohnehin nur Fleisch und an Fleisch interessiert – was eindrucksvoll genug die an freudische Kastra­zionsängste und Penisneid erinnernde Schlußszene widerspiegelt. Außerdem auch in der Darstellung sämtlicher anderer Frauen, von wärend der rithuellen Hochzeits­nacht der Protarg. zwangsmastu­bierte, jungfräuliche Beisitzerin, bis zur singenden Omi (Geisa), die alle im Grunde nur gefickt werden wollen.

Nun spielt das Ganze aber in Japan und Freud wie Sündenfall sind westlich, allerhöchst mittelöstlich. Vielleicht also nur zufäl­lig ausgelöste, nicht aber intendierte Assoziationen?

Die Brücke wird formal, wie inhaltlich geschlagen: Der Haushalt, der gezeigt wird, die rithuellen Handlungen (Hochzeit, Ankleiden des Mannes…), die äußerlich sichtbare Beziehung zwischen Mann und Frau sind alle erzpatriachalisch und in Traditionen er­starrt. Brüchig genug allerdings, um die tatsächlichen Bezie­hungen nicht einmal mehr ganz verdecken zu können (Rumgevögel in Öffentlichkeit mit aktiver Partnerin).

Die alte, traditionell verwurzelte, lebenserhaltende Ordnung, in der der Mann sicher und fest die Familie etc. führte, ist aufge­weicht und führt zum Tod oder, noch schlimmer, zur Kastration.

Aber – wie konnte denn das passieren?

In dieser Argumentation bleibend, bietet uns der japanische, in Frankreich lebende Regisseur auch implizit Antwort: Die wenigen Außenaufnahmen zeigen, wie niedliche Traditionen von einzug­haltenden Monstren der (westlichen) Moderne plattgewalzt werden; so kleine Menschen vor riesigen Fabrikschornsteinen, wie gezogene Ritschkas vor riesigen, schwarzen, in Rei’ und Glied stehen­den Lokomotiven. Und auch die Vision, die sie während ihres letzeten Orgasmusses hat, im Augenblick seines Todes, ist voll von der Nostalgie eines Mannes, der an sein gefallenes Reich denkt: Sie findet sich wieder in einem Ring liegend, der für Sumoringer gedacht ist, nackt und einsam, hunderte von leeren Bänken um sich. Um sie herum tanzen singend ein Greis und ein kleiner Junge. Als die beiden auch plötzlich verschwunden sind, ruft sie hilflos seinen Namen.

 

Inna brachte in der Metro noch einen guten Stunt: Wir standen, uns unterhaltend im Eingang eines Waggons. Neben uns saß, den Kopf an eine Halterung gelehnt, ein junger Mann. Zunächst positionierte Inna ihre Hand so geschickt, daß der Jüngling den Kopf nicht mehr zum dösen anlehnen konnte. Dann schnippte sie ihm ans Ohr und gebot es ihm, aufzustehen, um einer Omi Platz zu machen. Der Jüngling befolgte peinlich berührt mit Blick auf mich auch ihre Anweisung.

 

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