Heute war einer von jenen Tagen, die schlecht anfangen, dann einen leichten Schwenk zum Schlechteren machen, um wirklich unerwartet übel auszuklingen. Hat aber verflucht viel Spaß gemacht.
Zunächst einmal gründlich verschlafen und dann erst um drei anstatt elf zur Uni gehetzt, um zu erfahren, daß mit 100 $ alles auf die Reihe zu kriegen sei, aber nur, wenn ich noch 22$ in Divisen, die ich nicht habe und auch nicht bekommen kann, draufzahle (für die Visabehörde). Groteskes Land, indem Ausländer alles in Devisen zahlen müssen, sie aber nirgends Devisen bekommen können. Ich sah meine Möglichkeit, die kommenden Tickets doch in Rubel kaufen zu können also schon an 22$ scheitern.
Da dieses ganze Informationsgeschiebe recht lange gedauert hatte, kam ich zu spät, um mir von B.M. wie geplant Einkaufsmärkte in der Nähe meiner Wohnung zeigen zu lassen. Sie hatte aber trotzdem alle möglichen Sachen für mich mit eingekauft und zudem ein herrliches Dinner gerichtet. Außerdem hat sie seit gestern den drive mich zu kritisieren, d.h. mich ein wenig realistischer zu sehen:
- Sie befürchtet, daß meine aristokratischen Höflichkeitsformen (ich trage im Moment gerade, wie so oft wenn ich in einer sachlich unterlegenen Situation bin, den Gentleman vor) nur Äußerlichkeiten seien, was ich natürlich nur bestätigen konnte. Höflichkeit ist immer äußerlich, wie alle Umgangsformen, aber von denen, die ich kenne, diejenige, die ich in den meisten Situationen, für die vernünftigste und angenehmste halte. Mir war mit Bernd bei Sylvia nochmal aufgefallen, daß man aus der Gentleman-Figur fast völlig frei flexibel agieren kann. Und außerdem ist es gut dargestellt, eine ästhetische Wohltat für die Umgebung.
Verfluchte Legende vom echt sein. Die Täuschung liegt immer beim Enttäuschten oder aber echt ist nur ein weiterer Euphemismus für ausgeliefert sein einem Gefühl, was dann zu berechenbarem begrenztem Handeln führt. Jede Darstellung ist aber immer echt, auch die geheuchelte Zuneigung – eben als geheuchelte Zuneigung, nicht aber als Zuneigung oder Liebe. “Er hat mir etwas vorgespielt” ist immer “Ich habe nicht genau hingesehen und Begriffe verwechselt”. Natürlich gibt es die Lüge trotzdem noch, es ist willentlich oder auch nur wissentlich einen Irrtum erzeugen. Und das tue ich, solange ich Alternativen sehe, die nicht übermäßig anstrengend sind, nicht.
Der Mensch wird für den anderen Menschen durch die Tat, nicht durch die Idee.
- Ich sei zu faul, ihr im Austausch für ihren Unterricht die Grundlagen der deutschen Sprache beizubringen. Dazu ist ansich nichts zu sagen, außer, daß sie ein Leben damit verbracht hat Kleinkindern Russisch beizubringen, ich aber noch nicht einmal darüber nachgedacht habe, welche Möglichkeiten es im deutschen gibt, den Plural zu bilden.
- Bei mir zu Hause gäbe es nie etwas zu essen, wenn Gäste kämen (nach russischen Gastfreundschaftsidealen bemessen, ein Mega-Fauxpas). Dazu war wirklich nichts zu sagen.
Im Übrigen stellte sich heraus, daß sie noch genau 20$ hatte. Ich mache mir langsam Sorgen, soviel Hilfe von anderen anzunehmen – obwohl es in den meisten Fällen völlig ohne mein Zutun passiert, oft sogar mit meinem Unwillen. Doch ohne die Macht der Sprache, bin ich wirklich relativ hilflos. Ich bin wirklich eher ein Mann des Wortes, als ein Mann der Tat.
Sehr angenehm ist es auch, daß sie immer ein großes Kulturprogramm hat, in das ich mich – so sind wir jetzt verblieben – nach belieben einklinken kann.
Als ich dann erschöpft mit riesiger Essenstasche nach Hause kam, seit langem das erste Mal ohne Taschenlampe im dunklen Treppenhaus, stellte ich etwas irritiert und mit definitivem Unwillen fest, daß ich die äußere Eingangstür nicht mehr öffnen konnte. Mit Feuerzeug und der hinzugekommenen Handdynamorlampe des Nachbarn, bemerkte ich dann, daß man versucht hatte, bei mir einzubrechen, offensichtlich aber gestört wurde. Nun ja, der Nachbar hat mich darauf zusammen mit seiner Frau (er ist Schiffbauingenieur, sie unterrichtet Informatik, beide sind um die 30) und einem hinzugerufenen Freund, der sich mit handwerklichen Essentials wie Türen aufbrechen auskannte, in weitere Untiefen russischer selbstloser Hilfsbereitschaft eingeweiht. Selbstlos, weil sie als Reflex präsentiert.
Wir riefen dann, nachdem ich eine Weile über mögliche Konsequenzen für meinen illegalen Aufenthalt in der Wohnung nachgedacht hatte, doch noch einen betrunkenen Milizionär hinzu, der aber nur das Aufbrechen der Tür wachsam verfolgte um dann die Information zur Kenntniß zu nehmen, daß mir nichts gestohlen worden war.
Der Nachbar und sein Kumpel reparierten noch ca. 3h meine Tür (‘nen neues Schloß muß ich mir schleunigst besorgen, denn das wird mit Sicherheit nicht der einzige Einbruchsversuch bleiben; meine offensichtliche westliche Herkunft lockt zu sehr). Ich bot natürlich etwas Entgelt neben meinem Whisky an (100R), für ihre Mühen, woraufhin sie zwar in Versuchung kamen, dann aber doch meinten, daß wir über Geld reden würden, wenn sie mir das Schloß einbauen würden, was ein ziemlicher Akt wäre, an den ich an sich lieber einen Schlosser ranließ (ein neuer Platz fürs Schloß wird erst in der dickwandigen Tür geschaffen werden müssen).
Potentielles Überfallopfer bin ich hier wohl auf jeden Fall.
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