Gestern mit abgefallenem Fuß zu Hause verbracht. Nächtliche Ferndiagnose von Mama auf Schleimbeutelentzündung bewirkte, daß ich mir um halb fünf Uhr morgens noch einen gottverdammten Salbenverband umwickelte. Ansonsten russisch gemacht, gedepried und Ewald den Wurstigen gebissen. Am Abend mit dem Whisky-trinken aufgehört und sofort harte Entzugserscheinungen ausgelöst durch einen Tee-Schock bekommen. Hart an der Kotzgrenze. So hatte ich wenigstens keinen Hunger und konnte es mir ersparen, mir mein Dutzend einsam liegende Filme im Kühlschrank anzusehen.
Vor allem an Tod gedacht. Daran, daß ich enttäuscht von Susan bin, daß sie noch lebt, obwohl sie mir doch eine unheilbare Krankheit impliziert hatte und ich dadurch ganz entzückt war, daß mir ein so tragischer Mensch wie sie ein so großes Geheimniß eröffnet. Daran, daß es ein komischer Umstand ist, daß wir den Tot als persönliches Dilemma erleben können. Daran, daß es in Rußland so anders nicht ist, weil die Leute hier auch sterben und es wissen. Daran, daß sterben hier sichtbarer ist. Daran, daß im Angesicht des Todes die Mutter am wenigsten fremd ist. Daran, daß der Tot die größte Katastrophe ist, die einem Menschen passieren kann, und daß diese ihm auf jeden Fall passieren wird, er also völlig frei ist, die Zeit bis dahin mit beliebigen anderen Katastrophen zu füllen. Daran, daß alle persönlichen Geschichten Gut ausgehen, bis die Große auf jeden Fall schlecht ausgeht. Daran, daß es schwer ist, sich anzusehen, an den eigenen Tot zu denken, und sich nicht verzweifelt zu lieben. Daran, wie viele Charaktereigenschaften der Schlaf wohl mit dem großen Bruder gemein hat. Daran, daß ich ewig leben möchte. Daran, daß der Tot ebenso gleichgültig lethargisch machen kann, wie gleichgültig handlungsaktiv – auf jeden Fall als Bewußtseinszustand der große Equalizer ist.
Daran, daß Kinder Erwachsene schon deswegen allmächtig sprechen, weil sie so ihre Todesangst beherrschen lernen.
Heute russisch gemacht, mit Fee gesprochen, etwas eingekauft, in Schale geworfen und in Philharmonie gegangen um bestes sovj. Symphonieorchester mit Stardirigenten zu hören (B.M. organisierte die Karten). Danach noch zufällig Iverij [Vitali] beim singen getroffen. Er will mir am Dienstag unbedingt irgendwelche Leute vorstellen und Adressen von Ethnologen in Sibirien geben.
In der Philharmonie sind wirklich alle, auch die offensichtlichen Hippies der etwas seltsamen russ. Etikette angepaßt. Keine Ausnahmen. Man vergißt so tatsächlich – und das ist vielleicht auch Sinn der Sache – daß man sich im Ranglisten 70’sten Land nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten befindet.
Mir ob Blähungen vorgestellt, wie einer bei einem Symphoniekonzert lange einen gewaltigen Furz zurückhält, weil er das an sich sehr leise Stück gut kennt, und an der einzigen Stelle, an der ein lauter Paukenschlag (Cello) kommt, der Virtuose gerade einen Herzinfarkt erleidet und der Furz so aller Tragik zum Trotz losdrönt, so daß das Publikum sich vor Lachen kaum noch halten kann, obwohl der Solopauker grade dahinscheidet.
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