Tbilissi, 13. März 1993: Hausbesuch von der Gewalt (Argo)

Dank Dato einen echten naebnik bei mir gehabt und nur mit Nöten ohne eingeschlagene Fresse wieder aus dem Haus bekommen:

Dato rief nachmittags angetrunken an, um zu fragen, ob er mit seinem Stiefvater vorbeikommen könnte. Ich wußte schon aus früheren Erzählungen, daß mir, willigte ich ein, Übles bevorstünde. Der Krieger sollte ein echter Todessucher sein, und wie beschrieben, so trat er ein. Beide waren betrunkener als erwartet.

Er, ein Brecher von Mitte Dreißig, der kaum durch meine Eingangstür paßte, und dermaßen vom Leben enttäuscht war, daß es mit ihm kein anderes Gespräch geben konnte, als den Krieg. Ich hatte keine Lust auf sein seichtes Männergequatsche, so in der Art; habe einmal geliebt, sie ist frecher Weise gestorben [Datos Mutter], bin deshalb in den Kriege gezogen um den Tod im Töten von Anderen zu suchen und glaube fest an Gott – hier meine fünfundsechzig Kreuze um den Stiernacken.”, gab also Konter.

Da ich es ihm nahm, eine gemeinsame Sprache mit mir zu finden, auch weil mir seine Position tatsächlich von Interesse war, fing er dann plötzlich an, wie ein Blöder sein Messer zu suchen – vielmehr trieb den in die Schamhaftigkeit getrunkenen Dato auf Russisch dazu an (während ich Essen zubereitete), sein Messer bei mir zu suchen. Die Show, die er sich selbst natürlich glaubte, war für meine Ohren bestimmt und so wurde er, solange ich nicht reagierte – während Dato alles auf sich nahm, sogar sein französischen, vom leiblichen Vater geschenktes Messer zur Befriedung anbot, ahnend, was da kommen könnte – immer unverschämter. Ich setzte mich also ihm gegenüber und brachte die unausweichliche Konfrontation zum Ausbruch; das allerdings in seiner Sprache. Da mir das gelang, entgingen wir der Schlägerei (die mich breitgeklopft gelassen hätte) und kümmerten uns dann um den entlaufenen Dato – dem das alles so peinlich war, daß er sich auf dem Klo mit seinem Messer absichtlich die Hand aufschlitzte, bevor er heimlich und hilflos das Weite suchte. Auf der Suche nach ihm, gelang es mir dann auch, den Krieger abzuschütteln und kam so – ohne Dato gefunden zu haben – wieder nach Hause.

Anstrengend mit Berufskillern an einem Tisch zu sitzen.

 

Auf seine Aussage hin, daß die jungen Leute den Glauben verlören, fragte ich ihn, ob er selbst denn gläubig sei. Als er dies bejahte, wollte ich wissen, was er denn von einem Gott zu erwarten habe, der geschrieben hat “Du sollst nicht töten!”. Er, der ohne in der Mafia organisiert zu sein, in Geschäfte geht und sich kostenlos bedienen läßt, erklärte mir nicht besonders geduldig, daß er immer, nachdem er jemanden umgebracht hätte, in die Kirche geht’ und eine Kerze für sein Opfer anzünde. Ich fragte, ob er denn glaube, daß das den Schmerz der Mutter lindere und er erwiderte, daß den Schmerz seiner Mutter auch niemand lindern werde. “Würdest du für dein Land nicht kämpfen?” fragte er.

– Für die Menschen, die ich liebe, vielleicht. Für eine formale Einheit meines Landes mit Sicherheit nicht.

Das verstand er nicht.

– Und wenn deinem Freund neben dir von einem feindlichen Geschoß der Schädel platzt, wie reagierst du dann?

– Ich weiß es nicht. Vielleicht würde ich weinen, oder hassen, oder …

– “Oder weglaufen”, schlug er vor.

– “Oder weglaufen”, sagte ich, und dachte an den Russen, der eben deshalb mit dem Kämpfen aufgehört hatte).. “Und wie reagieren Sie? Sie schöpfen doch wohl aus einem größeren Erfahrungsschatz hier … ”

– Ich weiß nicht, aber bei mir weckt so etwas das Tier in mir. Ich gehe los und bringe andere um.

– Wen wollen Sie eigentlich beschützen? Doch wohl die Menschen, die sie Lieben. Und gibt es solche in Abchasien?

– Ich liebe niemanden.

– Damit ist unsere Unterhaltung gegenstandslos. Ich würde jetzt gerne das Thema wechseln …

Wir unterhielten uns dann noch, nachdem er seinen Aggressionen in der Messeraktion Luft gemacht hatte, über die Zeit, als er noch ein Mensch war. Tatsächlich ist er Datos Stiefvater und der einzige Mensch, den er je liebte, das war Datos Mutter, die vor zwei Jahren an Krebs gestorben ist. Nach ihrem Begräbnis verbrachte Alex vier Tage und Nächte auf dem frischen Grab, bis Dato ihn nach Hause holte. Dort hielt er, damals noch Geophysiker, es aber nicht lange aus und zog in den ersten Krieg, aus dem er von 140kg Muskelmasse auf seine heutige Dimension von 110kg abgemagert zurückkahm. Seitdem hat er ständig in vorderster Front gekämpft, ohne seinen Tod zu finden. Ich schlug ihm vor, sich vielleicht doch lieber mit Alpinismus zu beschäftigen.

Dato sagte mir im Vertrauen, daß seine Mutter bis zu letzt seinen schmierigen Vater geliebt habe. Als der Gevatter die Sense schon zum letzten Streich angesetzt hatte, wenige Stunden vor dem Exitus, bekam sie es noch irgendwie mit, dass Dato von der Exkursionsreise, die sein Vater leitete, gegen den Willen und ausdrücklichen Befehl des Vaters früher zurückgekehrt war, um sich von der Mutter zu verabschieden. Dato war im Camp von einer Zecke gestochen worden und fühlte sich von daher nicht ganz wohl. Die Gespräche liefen vor der verscheidenden Mutter, weil keiner sie mehr bei Bewußtsein wähnte. Plötzlich fragte sie aber vollkommen klar ihre wohl letzten Worte: “Und Collja, was ist mit ihm? Er ist doch nicht auch gebissen worden?”

 

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