Tbilissi, 1. April 1993: bei Inga und Olga im Iveria zu Gast

Heute mit Loscha bei Olga und ihrer Schwester Inga (?) zu Abend gegessen. Beiden ist eine sehr geschmackvolle Art zu eigen, Sprache pointiert aufzutragen.

– In der Jugend einer ihrer Mitarbeiter geschah es, daß ein junger Mann sie beim Promenieren ansprach und sie dazu einlud, mit ihr in einer weniger einsehbaren Seitenstraße Küsse zu tauschen. Sie willigte, angesichts des attraktiven Äußeren des Jünglings ein. An diskreterem Orte angekommen, stellte sie sich, die Augen geschlossen, in Pose und wartete – vergebens. Sie öffnete die Augen also wieder und fand den jungen Freier verschwunden. Buchstäblich von der Erde verschluckt, denn nach kurzer Konzentration verstand sie, daß er ihr folgend in einen offenen Gulli gefallen war. Nur mit Mühe bekam sie ihn zu fassen und brachte ihn wieder an die Erdoberfläche; zum Küssen war er allerdings nicht mehr zu haben, und er zog es vor, sie direkt nach Hause zu begleiten. Dort verabschiedete er sich schroff und ging seiner Wege. Sie rief einige Tage später bei ihm an, weil sie vernutete, daß sein Schamgefühl ihn davon abhielt sich zu melden, und fand heraus, daß ihr unglücklicher Don Quichotte mit doppeltem Beinbruch im Krankenhaus lag.

– Irgendwo zu Gast sein, sich duschen, weil’ s zu Hause kein heißes Wasser gibt, in die Badewanne beim Duschen pinkeln und erst danach feststellen, daß der Abfluß verstopft ist.

– Traum von der Hölle als Schlaraffenland, in dem der Teufel Wünsche errät und erfüllt , wie: Schönheit; die Gedanken anderer 1esen zu können; Männer wie Frauen beliebig verführen zu können – dafür aber ewig auf Erden leben zu müssen, d.h. die Hölle bleibt der Seele verwehrt.

Avantgardisten veranstalten hier jetzt manchmal kleine Skandale: Letzten Samstag zog sich ein Künstler der Gruppe auf offener Straße nackt aus und übergoß sich mit Farbe. Jetzt Samstag wird der· Kopf der Gruppe eine Nacht alleine in einem Käfig im Zoo verbringen und die Nacht hindurch Gedichte schreiben, um diese dann am nächsten Morgen seinen Freunden vor Ort vorzutragen. Loscha meinte, daß diese Wege doch alle schon gegangen seien. Inga hielt dagegen, daß diese Wege aber neu sein für die, die sie sich jetzt als Ausdrucksform erschließen.

 

Aufgaben für die nächsten drei Monate Kaukasus:

– Überblick über Heilpflanzenverwendung in Georgien, insbs. Swaneti, verschaffen;

– Nach Poti fahren und Haus kaufen;

– Georgisch fleißig lernen;

– auf Russisch hüpsche Geschichten schreiben;

– nach Swaneti fahren (Juni) lmd Feldarbeit betreiben;

– Wardsia besichtigen und ins Gebiet der umgesiedelten Armenier fahren.

 

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