Eriwan, Sonntag, 12. März 2000

Armenien wurde privatisiert. Vartan, Direktor einer größeren Backfabrik mit neuem Maschinenpark bekam, wie alle Fabriken des Landes, die Direktive vom Ministerium, Produktionsmittel, die noch nicht abgeschrieben waren aber der Abschreibung obliegen, unverzüglich abzuschreiben. Die Abschreibung muß rechtens von den jeweiligen Kontrollkommissionen (eg. Gai im Falle von Autos, Kontrollen des entsprechenden Ministeriums) abgesegnet werden. Vartan stellte eine halbwegs realistische Liste zusammen (ca. 5% des Maschinenparks). Als er diese Liste im Ministerium vorlegte, war man überhaupt nicht zufrieden. Die Logik dieser Maßname ist im Lichte der ein Jahr später folgenden Vaucherprivatisierung zu sehen:

  1. der Fabrikdirektor schreibt hochwertige, neue Geräte ab und verkauft sie offiziell zu Nominalpreisen (z.B. an seine Arbeiter). Der tatsächliche Verkaufspreis ist doppelt so hoch wie der Nominalpreis und erheblich niedriger als der tatsächlich Wert des Geräts (nach diesem Muster meist Autos).
  2. Um diese originelle, von oben angeordnete Form der Abschreibung durchziehen zu können, müssen die staatlichen Kontrollen, die dem anordnenden Ministerium unterstehen, bestochen werden. Diese Bestechungsgelder werden nach oben umverteilt.
  3. Als ein knappes Jahr später die Vaucherprivatisierung umgesetzt wurde hatten die zu privatisierenden Fabriken a) tatsächlich an Wert verloren, da Teile des Maschinenparks zu Spottpreisen verkauft worden war, und b) entscheidender, an Nominalwert entscheidend eingebüßt. Die Wertpapiere, die als Gegenwert an das Volk ausgegeben wurden (40% an die jeweilige Belegschaft), waren also nur einen Bruchteil des eigentlichen Bestandes wert. Die Politpatrone kauften also die Wertpapiere auf und kamen in den Privatbesitz der Fabriken. Die wenigen, die auch ohne große Mühe Gewinn abwerfen würden (Brandy, Zement…) wurden beibehalten, die anderen – wie Vartans Brotfabrik – demontiert. Die Profis des Bürgerkriegs, die das Eigentum der vertriebenen Aseris bis auf die Grundmauern geplündert hatten (und selbst Baumaterial heute noch in LKW Ladungen in den Iran fahren – neue Trümmerfrauen), waren Experten in der Kunst der Demontage. Außerdem bestanden schon Vertriebsnetzwerke ins nähere Ausland.

Der Chef Vartans in Elektroinstallationsupravlenie saß 25 Jahre für einen Mord, den er als Student begangen hatte. Er verließ das Straflager als Dieb im Gesetze. Heute besitzt der 80jährige eine Bäckerei in Moskau.

Vazgen Sarkissian war auch leidenschaftlich damit beschäftigt, „freiwillige“ Spendengelder für die Armee einzutreiben, auch nachdem er Premierminister geworden war. Ein Freund Vartans arbeitete für eine Firma, die Buntmetalle exportierte, ohne den Poltipatronen zu gehören. Vazgen rief den Direktor zu sich und erklärte, welche Summen er gerne regelmäßig gespendet sehen würde. Der Direktor erklärte sich einverstanden. Kurze Zeit später wurden 150 Tonnen Buntmetall an einen vertrauten Abnehmer nach Holland geschickt. Das Geld kam nicht. Der Abnehmer erklärte, er habe das Geld wie vereinbart auf ein Moskauer Konto gezahlt und faxte die Belege. Die Bank erklärte, sie habe das Geld nicht bekommen. Während ein internationaler Rechtsstreit seinen Anfang nahm war Vazgen nicht geduldig. Er orderte den Direktor wöchentlich in sein Kabinet und schlug ihn eigenhändig zusammen (Vazgen ist ausgebildeter Sportlehrer), da dieser die Spenden nicht zahlen konnte. Der Freund Vartans (Manager) floh das Land. Die Firma mußte Konkurs anmelden und das Geschäft wurde von den Politpatrons einverleibt. Der holländische Partner lebt mittlerweile nicht mehr und es konnte nicht geklärt werden, wer das nachweislich überwiesene Geld tatsächlich erhalten hatte.

Vartan ist felsenfest der Auffassung, daß es immer noch sehr ungesund ist, sich mit gewinnbringenden Investitionen in Ar abzugeben. Angebote dieser Art (von westlichen Geschäftsleuten und Politpatronen) lehnt er höflich ab. Vgl. Argumentation und Verhalten Kirims.

Brief an Stefan Bitterle, 05.06.2000, NK

na ja, ungefähr so:

ich langweile mich hier gerade bestialisch. würde mich gene einmal auskotzen. inna hat aber kein e-mail und leute, die mich in der region interessieren sind entweder kompetent oder meinen, daß sie schwanger werden, wenn sie mit mir auf dem selben sofa sitzen oder auch beides. Uaaaahhhh. Außerdem ist da noch der CCC (Closet Case Club) Yerevan, der so ansatzweise karnevalesierbar war, mir aber mitlerweile mit dem “ich bin nicht schwul, ey, echt nicht, aber stimmt es, daß man in Holland mit operativ erweitertem Anus Asyl bekommt?” Gekwatsche auf den Nerv geht. Außerdem laden die mich ständig zu irgendwelchen Parties ein, auf denen nur ein Alibiweibchen anwesend ist. Jungs aushalten ist auch nur so lange lustig, bis der halbrussische alkoholkranke Sänger der Punkband (hit: tanki,tanki,tanki,tanki, skoro v gorod vkhodit punki / er hat in Abkhasien gedient) dich fragt, während du dich bemühst, den Kopf der minderjährigen, in den mitlerweile flüchtigen Big Man Vano verliebten Bassistin einer anderen Punkband, die sich “Inzest” nennt und ganz hübsch gröhlt, aus der Baßröhre des Lautsprechers zu befreihen, in den sie ihn spaßeshalber und mit gebrochenem Herzen reingeschoben hatte, [jetzt kommt der Hauptsatz ins Finale] ob dein Freund mit dem durchgeschwitzten weißen Hemd schwul sei, weil er ihn immer so fest umarmen würde.

All diese netten Sachen muß ich nebenher machen, da mich mein Chef zum Privatsekretär auserkoren hat und ich jetzt auch die Liebesbriefe für ihn schreibe. Auf Polnisch. Herrgottsakrament ich kann kein Polnisch.

Nein, wenn mir der Kopf nicht so sehr schmerzen würde, es nicht so schwül wäre, ich nicht dazu verdammt wäre hier am Computer blöde Berichte zu schreiben und ich wenigstens einen freien Geist in reichweite wüßte, dann ginge es mir ganz hervorragend.

So, jetzt müssen die Jungs und Mädchen, die das übersetzen wollen, sich mal so richtig anstrengen.

Klebrige Umarmung aus dem schwülen NK

jk

—–Original Message—–

From: Stefan Bitterle [mailto:stefan.bitterle@gmx.net]

Sent: Montag, 5. Juni 2000 16:14

To: Jan Koehler Berlin

Subject: RE: guck mal da

kann ich noch irgendwas für dich tun, schatz? minidisks? cds? penetracion?

kuss

stefan

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