24. März 1996

Zusammenschrift:

– Das beliebte georgische Idiom von der “Schule der Straße” als Übergangsritual. Schaffen gerade Gewalt, Gefahr, Drogen den besonderen Wirklichkeitsraum der Heiligkeit, aus dem im Dazwi­schen Gesellschaft gemacht wird?

– Tengis Kitowani war selbst gewichtiger ds.b., der vor allem Waffen und die eigenen Muskeln liebte. Seine Garde formte er mit seinen ds.b.-Kollegen aus der jungen Generation der guten Jungs. Es waren beim Sturz Gamsach. nicht mehr als 300 Mann.

Zunächst sah es so aus als würden die völlig unerfahrenen Stra­ßenkinder, die sich im Hotel Tbilissi verschanzt hatten, den Kampf verlieren. Nach Aussagen eines Augenzeugens (Bekannter und ehem. Parteimitglied Gelas, der dann über die Kontakte seiner Eltern, die Führungspositionen in der russischen Armee innehat­ten, den Kader und Waffenkanal für die Rebellen öffnete) brach Kitowani heulend zusammen und wollte fliehen. Daran hinderten ihn seine eigenen Leute.

Gela meint, Kitowani sei daran interessiert gewesen, die Front in Abchasien für eine Weile zum stehen zu bringen, um den Plün­derungskrieg zu perpetuieren. Dabei hätte er aber die militäri­schen Konsequenzen (vor allem Abchasen und Gratchow) gründlich unterschätzt.

Gela war mit dem Vater von Tengis gut bekannt. Sie waren gemein­sam an dem Aufbau einer Gewürzfabrik beteiligt.

– Jaba Jussiljanis Image des Diebes war in den späten 80’er Jahren längst verblaßt, als er seiner Tätigkeit als Professer der Theaterwissenschaften an der Tbilissier Universität nach­ging. Auch er baute seine Mchedrioni aus der jungen Generation der ds.b. auf.

Nach seiner Befreiung aus dem Gefängnis machten seine Jungs, zusammen mit russischen Eliteeinheiten und den ca. 100 Afganen den Erfolg des Sturzes Gamsach. aus. Erst jetzt polierte er seine einstige Reputation wieder auf und sollte so zum Inbegriff des neuen Räubers werden.

– Die Börse ist der Ort, an dem mit der einzig konvertierbaren Valuta “Ehre” gehandelt wird. Auch für Gela spielte und spielt der Ehrbegriff eine entscheidende Rolle, gerade auch für den Gewalthaushalt, auf den er als ehemaliger Boxer mit erheblicher Schlagkraft (Meister des Sportes, Champion Georgiens, 3 bei den Sowjetischen Meisterschaften…) zugriff hatte.

Er erzählte von vier Situationen, in denen er Männer nieder­schlug. Immer ging es um Ehre (vgl. Irmas Bruder), meist um Frauen als Katasysatoren der Ehre.

            1. In Moskau im Restaurant, als der Abchase Frauen zum tanzen zwingen wollte und eine dann sogar ohrfeigte;

            2. Im moskauer Restaurant, als ein Russe ihn provozierte (der einzige Fall, in dem es um Selbstverteidigung ging);

            3. In der Unterführung beim Hauptelegrafenamt in Moskau, als ein Russe im Vorbeigehen seine weibliche Begleitung anrempelte;

            4. Als Nana vor dem Hauseingang (alleine) von einem schrä­gen Typen tätlich angemacht wurde;

Interessant ist, daß Gela die Straße radikal meidet (Restaurants, sich ohne Auto fortbewegen…), seitdem sie von Männern mit todbringenden Waffen dominiert wird. Er gab mir Recht, als ich bemerkte, daß es für Männer wie ihn in den letz­ten Jahren entweder furchtbar gefährlich oder furchtbar demüti­gend auf der Straße geworden sei. Sie hätten Gewalt und Ehre doch weitgehend als ein Spiel betrieben, in dem der Einsatz “Leben” nicht gedacht wurde. Auch Gia Japaridse meidet seit Jahren die Straße.

– Die informellen Verpflichtungsneztwerke zwischen politischer Klasse des sowjetischen Georgiens und der Bevölkerung hatten nicht nur die negativen Aspekt der Korruption. Im Unterschied zu Mütterchen Rußland brach so der Kontakt zwischen Nomenklatura und Volk – gerade auch was die wirtschaftlichen Bedürfnisse letzterer anging – nicht ab. Auch Gela tat als Direktor des Bau-Trestes (eine Station unter dem Bauminister) sein mögliches, um annehmbaren Bitten nachzukommen.

– In der Propaganda des georgischen “Pressedienstes Abchasien” geht es jetzt auch gegen die Armenier: Ein armenischer Arzt (Mikrochirug) soll in Erewan und sogar in Suchumi die Frechheit besessen haben, Abchasische Kämpfer zu heilen. Er selbst und die Armenische Botschaft in Tbilissi streiten das ab und behaupten, er habe ausschließlich Frauen operiert (seine Bedingung). Im Hinblick auf die armenische Bevölkerung Georgiens bracht der georgische Staat erheblich mehr Fingerspitzengefühl, um weitere Katastrophen für das Land, das er verwaltet, zu vermeiden.

– Jaba soll vor Jahren das GUM ausgeraubt haben und dafür zum Vor v Sakonje getauft worden sein.

Außerdem soll er, nachdem er aus dem Gefängnis befreit worden war (woran Gela mit seiner Partei mit beteiligt war), Moskauer obtschak-Geld zweckentfremdet verprasst haben. Als die Moskauer Diebe den Vermittler Makaladse (?) in geheimer Mission schick­ten, wurde dieser umgehend ermordet. Die Diebe sind seither eher betrübt, wenn sie den Namen Jaba hören.

– Drei in Moskau ermordete georgische Diebe wurden in Tbilissi beigesetzt. Für jeden angereisten Dieb, der zu dem riesigen Begräbnis kam, wurde eine horrende Summe Schutzgeld aus dem obtschk an die Polizei bezahlt.

– Der ermordete Diebesfreund von Gia J. schöner Tochter sei darin typisch gewesen, daß er

            1. ein guter Dieb war, der Gästen von Freunden die gestoh­lenen Autos wiederbeschaffte;

            2. mit Wikingerhaltung ein kurzes, aber mächtiges, ruhmrei­ches Leben einem langen langweiligen vorzog;

            3. seinen jüngeren Bruder, der zu bösen Dieb mutierte, heftig prügelte, damit dieser gar kein Dieb werde.

– Jaba und die Mchedrioni sind kaum als Pate und Mafia zu ver­stehen: Es bestand zumindes in der Endphase kein Interesse an einem stabilen Markt der Gewalt, sondern eher an einer Perpetu­ierung der Instabilität des Staates. Es gab keine Möglichkeit für Geschäftsläute bei Jaba Schutz zu kaufen.

Das Geschäft war der Raub, nicht der Schutz.

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